Interview mit Sonja Radatz, Begründerin des Relationalen Ansatzes

Dr. Sonja RadatzInterview mit Sonja Radatz, Autorin des Buches "Das Ende allen Projektmanagements - Erfolg in hybriden Zeiten - mit der Projektfreien Relationalen Organisation"

Dr. Sonja Radatz ist Begründerin des Relationalen Ansatzes und leitet seit 1998 das Institut für Relationale Beratung und Weiterbildung in Wien, Schloss Schönbrunn. Die Wirtschaftsabsolventin und Autorin von aktuell 18 Büchern begleitet vor allem internationale Unternehmen, aber auch Führungskräfte und CEOs, Vorstände und Geschäftsführer in der erfolgreichen Neugestaltung des Unternehmens bzw. in der Erzielung der notwendigen Ergebnisse. Darüber hinaus ist sie Herausgeberin der Zeitschrift LO Lernende Organisation. 2003 wurde ihr in Berlin der Deutsche Preis für Gesellschafts- und Organisationskybernetik für ihr Lebenswerk verliehen.

Frau Radatz, in vielen Unternehmen wird heutzutage geschäftig in Projekten gearbeitet. Der Titel Ihres Buchens lautet "Das Ende allen Projektmanagements". Inwiefern denken Sie, dass heute ein Umdenken gefragt ist?

Projekte entstanden meiner Erfahrung nach überhaupt nur als „Krücke“ – um einen aus meiner Sicht untragbaren Zustand in Unternehmen zu sanieren: Denn die klassische Organisation ist in „Silo-Funktionen“ aufgebaut oder – noch schlimmer – als Matrix-Organisation. Wenn nun jeder Bereich in der typischen Silo-Organisation nach oben liefert und damit dem Chef verantwortlich ist, dann entstehen genau diese Silos, die eine zusätzliche Abstimmung von oben notwendig machen. Es muss dann vermeintlich – um wenigstens irgendeine vernünftige „Zusammenarbeit“ oder „gemeinsame Perspektive“ auf ein Thema zu entwickeln, ein Projekt installiert werden; mit allen Nachteilen.

Nun kommt aber zu diesem bereits seit Jahrzehnten bestehenden Missstand in der Aufbauorganisation noch hinzu, dass das Board – anstatt klare Rahmenvorgaben zu entwickeln, die Board Mitglieder und darunter liegenden Direct Reports ordentlich bei deren Verantwortungserfüllung zu begleiten und dafür zu sorgen, dass die notwendigen Strukturen vorhanden sind, viel lieber operativ-inhaltlich gearbeitet. Und dort denken sich dann Menschen Projekte aus, die von jemandem „da unten“ umgesetzt werden sollen. Und damit schlägt das Management Board gleich zwei wertvolle Diamanten in den Busch: Es verabsäumt, die strategischen Weichen zu stellen, und lähmt gleichzeitig die Organisation mit irgendwelchen Projekten, die keiner braucht.

Das OE-Projekt benennen Sie als Königsdisziplin unter den "Nicht-Projekten". Warum führt diese Form der Projektarbeit in Ihren Augen am Ziel vorbei?

Organisationsentwicklung bezieht sich immer auf Menschen, die in Organisationssystemen zusammenarbeiten. Und es ist völlig absurd, für die Entwicklung einer Organisation Pläne zu machen, weil die Organisation dem nicht folgt. Es ist also obsolet, zu glauben, man würde Schritt für Schritt eine Organisation irgendwo hin „entwickeln“ können. Ich vergleiche das gerne mit dem Leben: Haben Sie schon jemals eine „Eheentwicklung“ geplant? Und wenn ja, wann war der Endzeitpunkt Ihres Projekts? Wie haben die einzelnen Schritte ausgesehen? Und falls Sie es tatsächlich versucht hätten: Welche Erfolge haben Sie erzielt? Oder ein Kindererziehungsprojekt… oder ein Freundschaftsentwicklungsprojekt… oder das Entwicklungsprojekt Ihres eigenen geistigen Zustands (und vor allem: Wie messen Sie das?).

Meiner Erfahrung nach können wir uns nur für einen neuen, gewünschten Zustand entscheiden, und dann diesen Zustand leben; nachhaltig, umfassend und mit all unserer Motivation. Dafür brauchen wir allerdings kein Projekt, sondern jeder braucht sein eigenes Konzept, das er durch ein anderes ersetzt, falls es nicht mehr den gewünschten Erfolg bringt.

Warum vernichtet Projektmanagement für Sie teure und wertvolle Arbeitszeit?

Da muss ich ein bisschen früher ansetzen. Ich halte es für einen Wahnsinn, wenn Führung als „Aufgabenverteilung“ verstanden wird, wie ich es in fast allen Unternehmen erlebe. Aus meiner Sicht kann erst die komplette Verantwortungsvergabe an die Direct Reports (als Antwort auf die Frage, „Auf welche Fragen antwortet dieser Direct Report?“) dazu führen, dass dieser Direct Report dann auch für alle Themen verantwortlich ist, die in diesem Bereich entstehen. Er entscheidet dann, was dort getan wird und wie es getan wird. Dafür braucht er niemand anderes. Er sollte also erarbeiten, was er in seinem „Unternehmen im Unternehmen“ herstellen muss, um seiner Verantwortung gerecht zu werden – und die einkaufende Schnittstelle sollte mit seiner Leistung zufrieden sein, das ist alles.

Wenn jemand hingegen – wie in Projekten üblich – mühsam gemeinsam mit anderen ein Gesamtergebnis erarbeitet, dann sitzt er stundenlang in Meetings; und die Hälfte der Themen (wenn nicht mehr) betrifft ihn nicht einmal peripher. So wird Arbeitszeit verschleudert – zum Nulltarif. Oder noch schlimmer: Die meisten Führungskräfte erklären mir zu Beginn meiner Führungsbegleitung sogar, dass sie gar nicht mehr zum Arbeiten kommen; sie sitzen nur noch in Meetings.

Eine Ihrer Thesen lautet, dass Projektmanagement die Flexibilität und Wettbewerbsfähigkeit hemmt. Können Sie dies für unsere Leser ausführen?

„Life is what happens while you´re busy making other plans“ – so könnte man das in etwa bezeichnen. Es macht meines Erachtens viel mehr Sinn, klare Ergebnisse vorzugeben, die ab sofort und dann nachhaltig und jedes Jahr – in welcher Form auch immer – von jedem Mitarbeiter erzielt werden sollten, als an Projekten „neben“ dem Job zu arbeiten, die dann irgendwann das Alte ersetzen. Das wäre in etwa so, wie wenn Sie fröhlich weiter in Ihrer Familie leben und nebenher am Projekt „nächste Familie“ arbeiten.

Wir alle wissen nur zu gut, was in Projekten passiert: Das Alte passiert nicht mehr, oder das Neue passiert nur stockend. Und: Wenn das Neue dann endlich „fertig“ ist, wurde es vor Monaten oder Jahren erdacht und ist ganz bestimmt schon wieder veraltet. Wie sollte das funktionieren?

Was empfehlen Sie unseren Lesern, die die Durchführung eines neuen Projektes zugeteilt bekommen?

Das ist schwierig zu sagen, denn wenn sie ein „neues“ Projekt zugeteilt bekommen, dann stecken sie ja ohnehin schon im Schlamm des alten Unternehmensparadigmas. Es ist dann schon egal, ob sie bis zum Bauch oder bis zu den Schultern stecken. Viel wichtiger ist: Sie kommen nicht weiter. Sie bewegen sich am Stand. Und wer dieses Gefühl hat – und Burnout kommt ja nicht von ungefähr, das haben wir in Detailarbeit über Jahrzehnte erarbeitet – sollte sich auf die Suche nach einem anderen Job machen, am besten in einem Unternehmen, in dem er eine Verantwortung hat, selbständig entscheiden und arbeiten darf und vor allem keine Projekte schieben muss.

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Ein Kommentar

  • Maykay sagt:

    Heutzutage sollte man ständig über den Tellerrand hinausdenken. Im Enddeffekt ist es meiner Meinung nach aber egal wie man das Kind beim Namen nennt, solang nach Gewinnmaximierung gestrebt wird 🙂

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