Psychologie für Projektmanager: Urteils- und Wahrnehmungsfehler

Urteilsvermögen

Nicht umsonst heißt es, dass „der erste Eindruck zählt“. Menschen, die auf Anhieb sympathisch erscheinen, werden auch als besonders intelligent und fähig eingeschätzt, ganz unbewusst und automatisch. Im Alltag ist diese Art der Bewertung unproblematisch. Im Arbeitsumfeld allerdings kann das schnelle Urteilen zu Fehleinschätzungen führen: Der erste Eindruck ist dann so stark, dass andere Eigenschaften der Person gar nicht mehr berücksichtigt werden. Mangelnde fachliche Fähigkeiten fallen so eventuell weniger auf. In der Psychologie bezeichnet man dies als Wahrnehmungsfehler – der beschriebene Primäreffekt ist nur eines von zahlreichen dieser Fehlurteile, die das Leben des Projektmanagers unbewusst erschweren können.

Der Halo-Effekt: Die überstrahlende Eigenschaft

Ist es Ihnen schon einmal passiert, dass sich eine optisch attraktive Person bei Ihnen vorgestellt hat und Sie sie gleich für sympathisch, kompetent und intelligent gehalten haben? Das ist ein weit verbreiteter Effekt: Gut aussehenden Menschen werden auch weitere positive Eigenschaften zugeschrieben. Optisch weniger attraktive Personen, welche die gleichen Eignungen haben, werden dagegen häufig schlechter beurteilt – natürlich nicht absichtlich, diese Bewertungen verlaufen  unbewusst. Das bezeichnet man als Halo-Effekt. Dabei wirkt ein Merkmal einer Person so dominant, zum Beispiel ihr gutes oder aber ein eher unattraktives Aussehen, dass es bei der Beurteilung dieser Person alle anderen Eigenschaften überstrahlt.

Der Pygmalion-Effekt: Die sich selbst erfüllende Prophezeiung

Viele Projektmanager werden auch folgenden Effekt kennen: Sie erwarten von einem Mitarbeiter ein eher schlechtes Arbeitsergebnis – und bekommen auch genau das geliefert. Ein anderer Mitarbeiter hat Sie dagegen noch nie hängen gelassen. Entsprechend hohe Erwartungen haben Sie an ihn im aktuellen Projekt; und auch hier zeigt er wieder volle Leistung. Ist der eine Mitarbeiter nun besonders unfähig, der andere besonders fähig? Nicht unbedingt, denn hier kommt der Pygmalion-Effekt zum Tragen, das Prinzip der sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Kurz gesagt bedeutet dies: Mitarbeiter verhalten sich so kompetent oder ungeschickt, wie man es von ihnen erwartet. Die positive Meinung überträgt sich dabei ganz unbewusst auf die Mitarbeiter, durch ein positives emotionales Klima. Der Mitarbeiter stellt sich entsprechend darauf ein, die Erwartungen zu erfüllen. Leider hat der Pygmalion-Effekt eben auch die negative Auswirkung, dass sich schlechte Erwartungen ebenfalls erfüllen. Dem Vorbeugen können Projektmanager, indem sie alle Mitarbeiter gleichermaßen ermuntern und regelmäßiges, möglichst objektives Feedback an alle geben.

Stereotypen: Die Gruppen-Bewertung

Zu Fehlurteilen in der Mitarbeiterführung führen auch Stereotypen. Stereotypen sind nach Walter Lippmann vorgefasste Meinungen über soziale Gruppen. Sie werden in der Sozialisation zum Beispiel von den Eltern übernommen – so ordnen wir die Menschen in unserer Umgebung automatisch in verschiede Kategorien ein und ergänzen die Informationen, die wir über diese Person haben, mit uns dazu passend erscheinenden: der faule Student, der exzentrische Künstler,  die mütterliche Hausfrau usw. Die Unterteilung in Stereotype folgt dem menschlichen Bedürfnis, die Welt in Muster zu ordnen und sich selbst von anderen abzugrenzen. In der Mitarbeiterführung ist sie allerdings hinderlich, da Individuen nicht nach ihrer persönlichen Leistung beurteilt werden, sondern aufgrund ihrer - von uns angenommenen - Gruppenzugehörigkeit.

Der Hawthorne-Effekt: Die Bedeutung sozialer Faktoren für die Arbeitsleistung

Ein weiterer Effekt, den Projektmanager bei der Mitarbeiterführung berücksichtigen müssen, ist der Hawthorne-Effekt, benannt nach den Hawthorne-Werken der Western Electric Company. Hier machten Wissenschaftler Ende der 1920er, Anfang der 1930er Jahre eine bahnbrechende Entdeckung: Die Arbeitsleistung und Produktivität der Mitarbeiter hängt nicht nur mit den objektiven Arbeitsbedingungen zusammen – sie wird viel mehr noch von sozialen Faktoren mitbestimmt. Jede Veränderung der Arbeitsbedingungen, auch zum Negativen hin, zog in den Experimenten eine kurzfristige Steigerung der Produktivität mit sich. Das ist allerdings auf eine Reaktionsverzerrung zurückzuführen: Die Mitarbeiter zeigten allein deswegen bessere Arbeitsleistung, da sie wussten, dass sie Teil eines Experiments sind und beobachtet werden.  Teams, die mehr Aufmerksamkeit erhalten – etwa durch Feedbackrunden oder gemeinsame Unternehmungen – und die darum wissen, können also entsprechend bessere Leistungen erbringen.

Die paradoxe Wirkung von Lob und Tadel

Regelmäßiges Feedback ist für Teammitglieder und Projektmitarbeiter wichtig, um Wertschätzung für ihre Arbeit zu erhalten, und sollte fester Bestandteil jeder Mitarbeiterführung sein. In der Regel gehen Projektleiter nun davon aus, dass Lob motivierend wirkt. Wie der Psychologe W. U. Meyer zeigt, kann es jedoch auch zu einer paradoxen Wirkung von Lob und Tadel kommen: Wird ein Mitarbeiter für die Erfüllung einer eher leichten Aufgabe gelobt, könnte er dies so deuten, dass sein Vorgesetzter ihm eher wenig zutraut. Als Folge fühlt er sich wenig wertgeschätzt und demotiviert. Andersherum könnte ein Mitarbeiter, der getadelt wird, weil er eine schwere Aufgabe nicht richtig löst, dies so verstehen: „Mein Chef traut mir mehr zu, ich kann also mehr leisten, wenn ich mich anstrenge“.  Der eigentliche Tadel wird also durch einen Kompensationsprozess in ein Lob umgewandelt.

Wirklich objektiv bewertet natürlich kein Projektmanager seine Mitarbeiter. Die typischen Wahrnehmungsfehler sind nur menschlich, und sie zu umgehen, ist gar nicht so einfach. Aber es hilft, wenn sich Projektmanager und Teamleiter die beschriebenen Effekte bewusst machen und kritisch prüfen, was sie von den eigenen Mitarbeitern erwarten und inwiefern dies mit ihren fachlichen Kompetenzen übereinstimmt.

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