Fischen statt Produzieren

Kürzlich bei der Strategietagung eines mittelständischen Unternehmens: Der Produktionsleiter beschwert sich über den Vertrieb, der keine verlässlichen Verkaufszentralen präsentieren konnte und nun zum zweiten Mal im Jahr die Verkaufszahlen nach unten korrigieren musste. Der Vertriebsleiter wieder antwortete mit einer äußerst zutreffenden Analogie, die genau zur aktuellen Situation passt.

Fischerstrategie im Change Management (Quelle:piqs.de: "Fisherboot vor Korsika"@Nessquick )

Warum der Vertrieb keine Aufträge produzieren kann

Lieber Produktionsleiter, ich glaube, Sie bringen hier etwas durcheinander. Sie vergleichen uns mit einer Produktion, die Aufträge produzieren muss. Die Realität ist aber eine andere. Ich sehe mich eher als Fischer. Mein Team und ich steigen jeden Tag ins Boot und fahren auf die See. Wir werfen unsere Angeln und Netze aus und hoffen, dass der eine oder andere Fisch anbeißt. Noch vor zwei bis drei Jahren konnten wir mit unseren Angeln und Netzen jeden Tag genügend Fische nach Hause bringen. Leider gelingt uns das zur Zeit nicht mehr. Wir machen bereits immer größere Köder dran, die bereits fast so teuer sind, wie die Fische, die wir fangen wollen. Die Fische werden aber immer kleiner, und wir zählen immer mehr Tage an denen wir ganz ohne Fang und völlig frustriert nach Hause fahren. Wir sind genauso ratlos wie Sie. Ist das Meer überfischt? Sind die Fische ausgestorben? Wir wissen es nicht genau. Eigentlich müssten wir uns entweder mit den anderen Fischen die Fanggebiete teilen oder eine Weile warten, bis sich das Meer wieder erholt hat. Leider ist weder das eine noch das andere rechtlich wie auch finanziell möglich. Und so fahren wir jeden Tag aufs Neue wieder hinaus auf das Meer und hoffen auf den großen Fang. Und glauben Sie mir, wir werden uns über einen großen Fang mindestens genauso freuen wie Sie!

Vertriebsaussagen als Versprechen zu interpretieren und seine interne Planung darauf aufzubauen, ist nicht nur unlogisch, sondern fahrlässig. Was sind die Konsequenzen daraus?

  • Vertriebsaussagen werden als unzuverlässig angesehen
  • Enttäuschungen sind nahezu jedes Jahr vorprogrammiert
  • Vertriebsmitarbeiter leben unter einem hohen Erfolgsdruck, der sich oft in psychosomatische Störungen zeigt (man will ja seine Versprechen halten!)
  • Da die Entlohnungsmodelle fast alle ergebnisorientiert sind, entsteht entweder große Frust, wenn trotz täglichen Fischens weniger Geld im Geldbeutel ist, oder es entsteht ein „Lottogewinnergefühl“, wenn man einen dicken Fisch geangelt hat

Leider gibt es nur wenige Firmen, die mit dem Vertrieb eher iterativ agieren.

Die Methode lässt sich beeinflussen, nicht der Erfolg

Ein erster Schritt in diese Richtung wäre vom Vertrieb, mindestens drei Verkaufsszenarien aufzubauen: einen Worst-Case, einen Best-Case und einen Expected-Case. Die Ergebnisse werden so kommen, wie eben Fische im Meer sind. Viel wichtiger ist es an dieser Stelle, auf den Vertriebsprozess zu achten:

  • Was ist die bessere Fischfangmethode? (Netz, Angel, Reuse, …)
  • Habe ich die richtigen Köder?
  • Haben wir die richtigen Instrumente zum Lokalisieren von Fischen? (Radar, Echolot, …)
  • Konzentrieren wir uns auf die richtigen Fische? (Lieber weg vom Lachs, hin zum Rotbarsch …)
  • Sind unsere Fischer gut ausgebildet und motiviert?
  • Woran erkenne ich einen guten Fischer neben der Fangquote? (Ein guter Fischer in einem schlechten Fanggebiet mit dem falschen Köder und den falschen Instrumenten bringt keine gute Quote!)

Die Kluft zwischen Vertrieb und dem Rest der Firma wächst in Krisensituationen. Es gibt immer weniger Verständnis für Zahlen, die nach unten korrigiert werden. Clevere Vertriebsleiter erkennen die Rollenkonfusion und binden den Rest des Unternehmens, insbesondere die Geschäftsführung, das Controlling und die Produktion in das Vertriebsgeschehen zeit- und hautnah mit ein. So entsteht ein Verständnis für die Fangsituation, das weit über die Fangergebnisse hinausreicht!
Dr. Georg Kraus, Dr. Kraus & PartnerÜber den Autor: Dr. Georg Kraus, Jahrgang 1965, diplomierter Wirtschaftsingenieur, Promotion an der TH Karlsruhe zum Thema Projektmanagement. Hat diverse Zusatzausbildungen z.B. in Change Management und Organisationsentwicklung absolviert. Seit 1987 als Organisationsberater und Coach tätig. Seit 1994 Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-provence und der technischen Universität Clausthal. Senior Consultant und Mitglied der Geschäftsführung bei Dr. Kraus & Partner.

Machen Sie jetzt unseren Projektmanagement Test

Wo steht Ihr Unternehmen bei der Planung und Steuerung von Projekten? Haben Sie eine Übersicht über Ihre eingesetzten Ressourcen und freie Kapazitäten? Wo und wie verwalten Sie diese Informationen? Wie weit ist Ihr Unternehmen im Bereich Multi-Projekt­management? Machen Sie jetzt unseren Test!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert